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Valparaiso, Carretera Austral, Torres del Paine ...

Santiago de Chile (16.-19.10.2019)

7 Millionen Einwohner; 522 m

Gemäßigtes Frühlingswetter, sonnig


Das Erste, was wir bewusst wahrnehmen, ist die fast europäisch anmutende Abgeklärtheit und Sauberkeit beim Einreisevorgang. Die Grenzkontrollen gehen schnell, der Flughafen ist nicht hektisch und wird auch nicht mit nervenden Taxivermittlern überflutet. Ein Flughafenbus fährt uns in die Innenstadt und wir fühlen uns einerseits gleich heimisch, weil alles so „deutsch“ aussieht und sind andererseits fast wehmütig, weil scheinbar unsere exotische Südamerikareise vorbei ist. Chile ist anders, das merken wir schon an diesem Abend, auch, weil wir spät noch gutes Bier und Meeresfrüchte bekommen und so etwas wie Hauptstadtflair in dieser schicken Gaststätte mit unglaublich sauberen Toiletten aufkommt. 

Am Donnerstag flanieren wir durch die Innenstadt und fühlen uns irgendwie leicht. Die unsteten Verhältnisse in Guayaquil eingetauscht gegen dieses quirlig „westliche“ Lebensgefühl mit Cafés und Bars, Shoppingmalls und Fußgängerzonen - wir hätten nie geglaubt, dass wir uns über solche Verhältnisse mal freuen werden. Aber so ist es wohl: Die Vorzüge deiner Heimat erkennst du in der Fremde. Spätestens im Mercado Central mit seinen überbordenden Angeboten an Meerestieren hält uns nichts mehr. Gegen 14.00 Uhr brauchen wir Mittagsschlaf, weil die wunderbare Caldillo, eine Suppe mit Meerestieren, und die dazugehörige Flasche Weißwein uns die letzten Energien gezogen haben - eine wunderbare Atmosphäre inmitten der Fischhändler in den einfachen Bistros zu sitzen und zu genießen. Auf unserer Dachterrasse des Hostels finden wir auch ein lauschiges Plätzchen. Unten rauscht der Verkehr und wir dösen in der Nachmittagssonne. Für den Abend nehmen wir uns nichts weiter vor, außer durch das Szeneviertel Bellavista zu schlendern - St. Pauli auf der Südhalbkugel: Bars und Kneipen, Konzerthallen und Graffiti, Türsteher und überall junge Leute, die scheinbar die Party neu erfinden wollen, aber nicht reinkommen. Wir trinken ein paar Kross Pale Ale, da hat sich ein deutscher Brauer richtig breit gemacht und einen Craftbierhype in Chile ausgelöst, und freuen uns auf den Besuch des Neruda-Hauses in der Nähe. La Chascona („Lockenkopf“) ist vom Dichterfürsten der Chilenen für seine große Liebe Matilda Urrutia 1953 errichtet worden, als er noch mit einer anderen verheiratet war. Er war vernarrt in ihre Locken und in den Rest auch, eine Kostprobe:

Eine Liebe, die das ganze chilenische Volk mitgefühlt hat, könnte man meinen. Am Ende werden sie sich, von Hunderttausenden begleitet, vereint in Isla Negra am Meer wiederfinden.

Die Nerudastiftung hat dieses Domizil liebevoll wiederhergestellt, nachdem das Pinochet-Regime nach dem Putsch (11.09.1973) und Nerudas Tod (23.09.1973) das Anwesen verwüstet hatte und Matilda mit viel Mühe und Mut das meiste wiederherstellen bzw. erhalten konnte und bis zu ihrem Tod (05.01.1983) dort „überlebte“. Dieser Neruda war eine herrliche Mischung aus Bohemien und Sozialist, Feingeist und Frauenheld, Genießer und Menschenfreund. Dies offenbart sich in allen drei Häusern Nerudas, die wir in der nächsten Zeit noch sehen werden. Er hat alles gesammelt, was ihn in seinem Leben begleitet und an etwas erinnert hat. Gegenstände des Eisenbahnwesens, sein Vater war Lokführer, genauso wie nautisches Gerät, schönes Porzellan, Gallionsfiguren von Schiffen, Flaschen, Karaffen und so weiter und sofort ... kein Flohmarkt dieser Welt war vor ihm sicher. Ein Kunstwerk ist das alles dann aber erst in der liebevollen Zusammenstellung in seinen drei Häusern geworden.

Am Freitagabend (18.10.) ist die Ruhe vorbei und die politischen Schwierigkeiten des Landes und des gesamten Kontinents haben uns auch hier eingeholt. Sirenen sind zu hören, als wir uns gerade schlafen legen und wir denken noch halb im Spaß, dass hier wohl doch kein Aufstand angezettelt werde. Am Samstag morgen bekommen wir am Frühstückstisch die Bilder der Nacht präsentiert. Santiago brennt tatsächlich. Fast alle Metrostationen sind betroffen. Dazu Plünderungen von Geschäften, Fabriken werden in Brand gesetzt ... Der Auslöser, eine geringfügige Erhöhung der Metropreise, macht das ganze Dilemma der chilenischen Gesellschaft deutlich: Auch hier wachsen die sozialen Spannungen. Während die reiche Oberschicht durch ihren Präsidenten Piñera (selbst einer der Reichsten in Südamerika) einen starken Fürsprecher hat und sich immer mehr bereichert, wächst die Zahl der sozial Benachteiligten. Das politische Musterland Südamerikas steht am Abgrund und bürgerkriegsähnliche Zustände bestimmen das Straßenbild. Unsere Reisepläne sind ernsthaft in Gefahr: Es fahren keine Busse, die Metro ist lahmgelegt und ob wir die geplante Autovermietung über die Bühne bekommen, ist fraglich. Etwas beklommen lassen wir uns einen mutigen Uberfahrer kommen, der uns zur Autovermietung fährt, die Gott-sei-Dank, etwas abseits vom Geschehen der letzten Nacht liegt. Hier geht alles glatt und gegen 10.00 Uhr sind wir stolze Besitzer eines SUV mit 4X4-Antrieb, der uns - so unser Plan - sicher nach Patagonien bringen soll.

Wir beschließen, zunächst noch etwas nordwestlicher nach Valparaíso zu fahren. Wir wollen den Spuren des Dichters folgen und Nerudas Häuser in Valparaíso und Isla Negra bestaunen, bevor es stramm nach Süden gehen soll. Die Fahrt aus Santiago heraus war dann aber doch sehr angespannt - vorbei an allen Insignien der brutalen Auseinandersetzungen der Nacht. Auf der Einfallstraße lauter brennende Reifenhaufen, alle Metroeingänge demoliert und überall Straßensperrungen. Wir atmen erst auf, als sich hinter Santiago die ersten Weinfelder zeigen und wir freie Fahrt auf der Autobahn haben.

(Mehr Fotos: https://www.schoenwegsein.de/fotoalbum-erlebnis-s%C3%BCdamerika/chile-und-patagonien/santiago/ )

Valparaíso (19.-21.10.2019)

900.000 Einwohner; Hafenstadt

Sonnig und geschäftig hängt Valparaíso in den Hängen der Pazifikberge. Wir können hier auf den ersten Blick nichts Revolutionäres erkennen. Direkt am Hafenkai ist ein großer Supermarkt und wir kaufen uns erst einmal das Auto voll, der Süden wird vor allem in Selbstversorgung erkundet. Hier bekommt man alles, was man nicht wollte und trotzdem im Korb hat, Brathering von Rügenfisch zum Beispiel oder Öttinger Pils.

Unser Hotel liegt hinter dem Bismarckplatz in Hanglage. Wir schauen über die ganze Bucht und freuen uns auf den sonnigen Nachmittagsstadtgang. Die  42 besiedelten Hügel leuchten vielfarbig von allen Ecken. Jede Gasse bietet einen anderen Blick, viele Treppen und museale Standseilbahnen (Ascensor) verbinden die wichtigsten Stadthügel miteinander. Vor allem auf dem Cerro Alegre und dem Cerro Conceptíon  findet sich eine entspannte Mischung aus Kneipen und Hotels. Die Kreativen haben sich hier eingerichtet, z.T. noch in abenteuerlich anmutenden Behausungen, z.T. in bereits liebevoll sanierten Häusern. Graffitos allerorten, Schrottkünstler und wirklich schöne Malereien wechseln sich ab - Kreuzberg in Chile! Wir genießen das Flanieren, kaufen nette Kleinigkeiten, hören den guten Straßenbands zu und beschließen, die Museumsbesuche auf Sonntag zu vertagen.

Mit Einbruch der Dunkelheit beginnen die Protestgeräusche uns ins sichere Hotel zu geleiten. Wir wundern uns, warum viele Bewohner schwarz gekleidet mit Müllsäcken in die Ebene Richtung Esmeralda und Plaza Sotomayor pilgern. Warum das Verbrennen von Müll und Reifen zu einem berechtigten Protest gehört, bleibt ungeklärt. In den nächsten Tagen sehen wir in fast allen Städten diese Art Protestbekundungen. Mit Kochtopf und Löffel wird die ganze Nacht ein anhaltendes Dauergeräusch erzeugt, nur übertönt von den Feuerwehr- und Polizeisirenen. Vom Bismarckplatz hat man schon einen guten Blick auf die gesamte Bucht. Von hier aus sehen wir bereits die ersten Häuser im Innenstadtbereich um die Esmeralda brennen. Von der Hotelterrasse schauen wir uns etwas ungläubig und mit einer Flasche Wein bewaffnet die Revolution von Valparaíso an. Noch am Morgen steigt Rauch auf.

Gut dass das Nerudahaus La Sebastiana auf unserem Hügel liegt und über die Av. Alemania einfach zu Fuß zu erreichen ist. Auch hier sind wir vom Menschen und Dichter Neruda berührt und fasziniert. Die Terrasse des Hauses bietet einen atemberaubenden Blick auf „Valpo“, von hier aus sieht man aber auch die sozialen Unterschiede besonders deutlich, Bretterbuden und Paläste krallen sich z.T. nebeneinander in die Hänge. 

Wir trauen uns in die Ebene und begutachten die Esmeralda, die einer brennenden Müllhalde gleicht. Mehrere Supermärkte und Läden sind verwüstet, mindestens zwei größere palastartige Häuser sind komplett ausgebrannt und können nur noch notdürftig ihre angekokelte Gründerzeitfassade aufrechterhalten. Die Feuerwehr stützt sie notdürftig ab, während es aus dem Inneren immer noch qualmt. Es ist nicht wirklich zu erkennen, dass sich die Wut und Gewalt gegen ganz bestimmte Unternehmen oder Banken richten würde. Die Banken hatten vorgesorgt und alle Fenster und Türen mit Blechen und anderen feuerfesten Schutzmaterialien versehen. Die Läden waren einfacher zu knacken - mit Blechscheren sind die Rollläden aufgeschnitten worden. Wir flüchten mit dem Ascensor El Peral auf den Cerro Alegre, dort wollen wir den gerade frisch sanierten Palacio Baburizza besuchen, das eigentliche Kunsthighlight von Valpo - die herausragende Sammlung  eines kroatischen Salpeterbarons. Oben kann der Kontrast kaum größer sein. Die Sonne bescheint die Bucht und ein herrlicher Blick kann vom Paseo Yugoslavo in die Ferne schweifen. Aber das Museum hat, wie alle anderen Museen hier oben auch, geschlossen. Die Einwohner bereiten sich auf eine weitere Protestnacht vor und die öffentlichen Einrichtungen haben nach der Verkündung des Ausnahmezustandes nun komplett geschlossen.

Wir nutzen eines der letzten Restaurants des Hügels für Kaffee und Kuchen und gehen dann ins Hotel zurück. Lieber in sicherer Entfernung das Selbstgekaufte genießen (Wein und Oliven) und am Morgen nach Süden entfliehen. Vielleicht kommen wir im Dezember noch einmal in das hoffentlich beruhigte Valpo zurück, wir mögen diese Stadt und vielleicht kommen wir dann doch noch mit einem Künstler ins Geschäft.

(Mehr Fotos: https://www.schoenwegsein.de/fotoalbum-erlebnis-s%C3%BCdamerika/chile-und-patagonien/valpara%C3%ADso/ )

Isla Negra (21.-23.10.2019)

Fischerdorf

Etwas mulmig ist uns schon, als wir uns aus Valparaíso herausmanövrieren: Sogar die Mautstellen sind angezündet worden. In jeder Ortschaft sind die Brandzeichen auf den Straßen zu sehen. Aber wir kommen gut voran und sind zur Mittagszeit bei fast sommerlichem Wetter in Isla Negra. Dieses kleine Fischerdorf liegt malerisch an einer felszerklüfteten Küste. Ein ewiges pazifisches Rauschen begleitet uns bis an die Cabaña, die wir uns nach einigem Suchen einrichten können: Heute wird selbst gekocht.

Wir können uns nicht erinnern, jemals eine Küste gesehen zu haben, die so schön grün-violett-gelb bewachsen ist und diese beeindruckende blau-weiß schäumende Brandung zu bieten hat. Dazu können wir in kleinen sandigen windgeschützten Nischen in der Sonne sitzen und die Pelikane und Kormorane beobachten. An den Sonnenhängen prahlen die Villen mit unerhört kulturvoll verwilderten Vorgärten. Eine davon ist Nerudas Refugium - das schönste seiner drei Häuser. Das einfache Steinhaus ist nach und nach - der Phantasie des Dichters folgend - erweitert worden: Bald hier ein Fenster für die Buddelschiffsammlung, bald da ein Anbau im Eisenbahnwaggonlook als Reminiszenz an seinen Vater den Lokführer, dann wieder ein Pavillon für die Bar mit Schiffstheke, die er irgendwo auf einem Pariser Flohmarkt erstanden hat. Wenn Treibholz am Strand gesichtet wurde, ist es auch mal ins Gesamtkunstwerk eingefügt worden, etwa der Schreibtisch: „Matilde, das Meer hat dem Dichter einen Tisch gesendet, lass ihn uns bergen!“ Folgerichtig wurde das Paar nach den dunklen Zeiten der Diktatur 1993 unter Anteilnahme Hunderttausender im Garten des Hauses in Isla Negra mit Blick auf ihr geliebtes Meer ein letztes Mal beigesetzt. Leider sind wir mit unserem Rucksackgepäck limitiert, zu gern würden wir uns mit der Nerudalektüre auf die weitere Reise machen, aber Bücher sind eben schwer. Wir kaufen uns schon mal bei Booklooker die Biografie „Ich bekenne, ich habe gelebt“ und freuen uns auf die Weihnachtslektüre.

Was zu Hause auf jeden Fall auch einen Ehrenplatz haben wird, ist Nerudas Lieblingsgericht samt kunstvoll geschnitzter „Oda al caldillo de congrio“, eine Art chilenischer Bouillabaisse. Hauptbestandteil ist der Seeaal (congrio), der regional unterschiedlich mit Kartoffeln, Garnelen, Muscheln und einem Weißweinsud angereichert wird - wir hatten den Hochgenuss im Nerudahaus und waren begeistert!

Die Abende in Isla Negra sind lang. Bis 18.00 Uhr machen wir Besorgungen in den Nachbarorten Algarobo und El Quisco. Beide Orte haben einen veritablen Strand zu bieten, das Wasser ist allerdings eisig. Wir werden mehrfach auf das Einhalten der Ausgangssperre hingewiesen, weshalb wir uns rechtzeitig nach Hause begeben, Wein schlürfen, kochen und Domino spielen. Ab 18.00 Uhr erklingen auch in Isla Negra die Kochtopfprotestkonzerte.

(Mehr Fotos: https://www.schoenwegsein.de/fotoalbum-erlebnis-s%C3%BCdamerika/chile-und-patagonien/ruta-del-mar/ )

Lago Vichuquen (23.-25.10.2019)

Trotz Ausnahmezustand geht es weiter gen Süden. Als letzte größere Stadt passieren wir San Antonio, Chiles größte Hafenstadt, die von Demonstrationen und dem gerade stattfindenden Generalstreik gezeichnet ist. Aber wir kommen durch die Demonstrationen unbeschadet hindurch. Kaum zu glauben, wie sich die Landschaft danach friedlich öffnet. Wir fahren durch schöne Hügellandschaft mit sehr viel Landwirtschaft und erreichen die Küste dann wieder bei Pichilemu und Bacalemu. Die Strände sind nun bereits von der hier vorkommenden Kohle gekennzeichnet und z.T. richtig schwarz. In Pichilemu gibt es noch einmal guten Fisch und dann erreichen wir nach einem kurzen staubigen Schotterpistenvergnügen den hinter der Küste leuchtenden Lago Vichuquen. Ein tiefblaues klares Wasser und wunderschöne Villen am See verdeutlichen wieder einmal die Kontraste, die Chile uns bietet: So langsam wird deutlich, was die Protestierenden mit sozialen Unterschieden meinen. Hier haben sich die reichen Hauptstädter ein Paradies erschaffen, das nicht allen offen steht.

Der Weg um den See ist traumhaft und wir wollen unbedingt die nächsten beiden Nächte in Ufernähe verbringen, aber es ist alles noch zu. Als wir es schon fast aufgegeben haben, sehen wir einen Einheimischen beim Holzmachen. An seinem Grundstück steht ein Hinweis auf Cabañas und wir fragen höflich nach. Omar, so heißt unser neuer Bekannter, versprüht seinen Charme auf den dritten Blick. Ein kleines Lächeln huscht über sein Gesicht, als wir es mit unseren Spanischbrocken zu einer verständlichen Frage schaffen und er uns seine Cabañas zeigt, die bei uns euphorischen Jubel auslösen: Haus am See mit Kanu, Steg, Grillplatz und gaaaanz allein. Für zwei Nächte ist das nun unser Heim und Omar taut langsam auf. Am Morgen des zweiten Tages sitzt er schon in Schlafanzughose mit uns beim Frühstück im Grünen und trinkt Kaffee. Er war selbst zwei Jahre in Deutschland und hat einige deutsche Freunde, die ihn auch regelmäßig besuchen. Omar spricht kein Wort deutsch, ruft aber sofort seinen Kumpel in Heidelberg an und wir müssen dann 5 Minuten mit seinem Kumpel telefonieren und uns Tipps abholen - unglaublich herzlich diese Chilenen.

Wir genießen den sonnigen Tag am See, paddeln einmal rüber und zurück, dösen in der Sonne und gehen zum Morgenbad über den hauseigenen Steg ins herrlich frische Wasser.

Vielleicht kommen wir auf dem Rückweg noch einmal vorbei!


Copquecura (25.-26.10.2019)

Letzter Ort an der Ruta del Mar, bevor wir über die Autobahn einen Sprung nach Puerto Montt machen.

Durch sehr schöne Küstenregionen, die allerdings vom Erdbeben und dem Tsunami 2010 ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurden, geht es bis nach Copquecura. Unterwegs liegen uns traumhafte Strände zu Füßen und mehrfach möchte man einfach im Hotel am Meer verweilen - aber es muss ja weitergehen. So schaffen wir wieder nur ein super Meeresfrüchtemenü  in Pelluhue (Hotel Puramar) und fahren noch weiter. In einer einfachen Cabaña überstehen wir die Nacht und ab nach Araukanien.

(Mehr Fotos: https://www.schoenwegsein.de/fotoalbum-erlebnis-s%C3%BCdamerika/chile-und-patagonien/ruta-del-mar/ )

Pucón, Lago Villarrica (26.-29.10.2019)

22.000 Einwohner; 

Auf der Panamericana geht es Richtung Süden zügig voran. Bis auf ein paar Mautstationen und einem guten Mittagessen hält uns nichts auf. Wir haben uns das schöne Pucón als nächste Station ausgesucht und werden nicht enttäuscht. Die Landschaft wird nach unserer Abfahrt von der Hauptstraße immer beschaulicher. Wir fühlen uns in eine österreichische Bergwelt versetzt, die sauberen Kühe grasen mit ihren Kälbchen, Holzhütten stehen auf den Wiesen, schöne Mischwälder umsäumen die glasklar und blau schimmernden Seen. Kein Wunder, dass diese Region auch von vielen Deutschen erschlossen wurde und nun vielerorts deutsche Straßennamen zu lesen sind.

In unserem Hostel finden wir auch gleich deutsche Gesprächspartner. Der Hausherr hat deutsche Wurzeln; die Eltern waren gerade als Touristen in Deutschland, auch in Schwerin, weil letztes Jahr ein Schweriner Paar so von unserer Heimatstadt geschwärmt hat.

Pucón sieht aus wie ein österreichischer Skiort und hat auch alle Vor- und Nachteile eines solchen. Unser Jubel war groß, als wir die Panadería „Rostock“ entdeckten: Das erste Schwarzbrot seit Juli! Es gibt hier viele klassisch touristische Läden, Kneipen, Reiseagenturen usw. Im Sommer, wenn der See zum Baden einlädt, muss es hier bombastisch voll werden. Im Moment können wir den fantastischen Blick auf den Lago Villarica und den dahinter aufragenden Vulcan Villarica fast allein genießen.

Der Parque Nacional Huerquehue liegt malerisch östlich des großen Lago Caburgua. Bei schönem trockenen Wetter wandern wir zu den drei Lagunen des Parks auf 1300 m hinauf: Ausgedehnte Araukarien- und Südbuchenwälder, Flussläufe und Wasserfälle und immer wieder eine tolle Aussicht zurück in Richtung Vulkan, der sich allerdings, von Wolken umhüllt, nie ganz zeigt. Magellanspechte posieren für uns bei ihrer Arbeit am Baum zwischen den hochaufschießenden Araukarien. Diese Bäume sind ein besonderer Anblick. Während wir uns einig sind, dass diese seltsamen Bonsaiformen in einigen Vorgärten nicht unseren Geschmack treffen, ist so ein seltsames 40 m hohes Gewächs durchaus imposant, wenn es sich am Ufer einer glasklaren Lagune kerzengerade in die Höhe schraubt und ganz oben oktopusartige Asttentakeln ausfährt. 

Auf unserem Weg treffen wir auf weitere deutsche Wanderer aus Frankfurt, Düsseldorf und Berlin. Jana, Lewin und die kleine Malia aus Berlin waren auch länger mit einem kleinen Bus unterwegs. Lewin nutzt nun seine Elternzeit zum Tragen des 5-Monate-alten Knirpses die Hänge hinauf und hinab. Mal sehen, ob wir uns in Patagonien noch einmal treffen.

Vor dem Lago Caburgua gibt es noch eine ganze Reihe an Wasserfällen. Die Ojos de Caburgua sind unterirdische Abflüsse des Sees und ein Naturschauspiel sondergleichen. Sattes Grün und ständiges Rauschen begleiten die Blicke auf etliche Wasserfälle, die sich in eine tiefblaue Lagune ergießen. Mit der kleinen Wanderung am schwarzen Strand des Lago Caburgua setzt der große Regen ein, der uns bis nach Puerto Montt begleiten wird.

(Mehr Fotos: https://www.schoenwegsein.de/fotoalbum-erlebnis-s%C3%BCdamerika/chile-und-patagonien/araukanien/ )

Puerto Montt (29.-30.10.2019)

180.000 Einwohner, Hafenstadt

Die Stadt selbst ist nicht gerade ein Kleinod chilenischer Baukunst, aber lebendig. Es ist das Tor zum großen Süden und vom Fährhafen und dem Fischfang geprägt. Auch hier lässt uns die derzeitig angespannte politische Lage nicht los. Die Hafenarbeiter streiken und die Schüler und Studenten demonstrieren. Überall sind die Schaufensterscheiben mit Holzplatten gesichert, Banken haben geschlossen. Zusammen mit dem schmuddeligen Regenwetter macht das keine einladende Mischung. Wir beschließen trotzdem einen Spaziergang zum Fischereihafen zu wagen und werden mit dem ersten Wolkenloch seit Tagen und einem Regenbogen über dem Meer belohnt. Das saftige Grün der patagonischen Berge und ein paar Eisspitzen locken uns schon einmal in ihre Richtung und wir freuen uns auf den Beginn unseres großen Schotterpistenvergnügens. Aber zunächst gibt es noch ein überbordendes Angebot an Fisch (vor allem Reineta und Lachs) und Muscheln aller Art in und um die Fischhalle herum. Wir lassen uns von einer der vielen kleinen Restaurants locken und genießen mal wieder: Curanto, Caldillo und Wein.

Hornopirén (30.10.-01.11.2019)

1300 Einwohner

Auf die erste Fähre fahren wir schon nach einer Stunde. Von La Arena setzt die Carretera Austral nach Caleta Puelche über, das wir nach ca. 45 Minuten erreichen. Und spätestens jetzt setzt das patagonische Dauerstaunen ein: Schneebedeckte Gipfel, tiefblaues Meer, liebliche Fischerdörfer mit bunten Kuttern, die freundlich grüßend am Ufer auf ihren nächsten Einsatz warten. Die Sonne kommt raus und beschert uns eine wundervolle Frühlingsfahrt, immer entlang der Küste. Wir verlassen dafür die Carretera Austral bei Contao das erste Mal, um weiter am Meer zu fahren und nehmen den Umweg von 50 Kilometern gern in Kauf. Unser Subaru gleitet ruhig auf einsamer Schotterpiste voran und wir genießen den Weg und die Aussicht.

Der Bilderbuchhafen von Hornopirén grüßt uns mit einem schneebedeckten Vulkangipfel, der sich im Wasser des Fjordes spiegelt. Die Fähre hinüber nach Caleta Gonzalo fährt nur einmal täglich um 10.30 Uhr, weshalb wir uns schon im Vorfeld eine Cabaña gebucht haben. Die Reservierung ist nur für Inhaber einer chilenischen Kreditkarte im Vorfeld möglich. Die Überfahrt bekommen wir erst für den 01.11., für den 31.10. gibt es keine Reservierungen mehr - das ist ein Luxusproblem bei dieser Traumlandschaft, in der wir uns halt zwei Tage einrichten. Unsere Gastgeberin bekommt auch die Umbuchung hin - eigentlich war die Cabaña am nächsten Tag vermietet -, am Abend steht fest, wir können zwei Tage bleiben, kochen uns was Feines und genießen die Holzofenwärme.

Um Hornopirén herum gibt es eine handvoll Wanderwege mit Vulkanblick. Leider verlässt uns am Donnerstag das Wetterglück, aber die Wanderung zum Lago Cabrera ist auch im Dauerregen und deshalb ohne Vulkanblick eine lohnende Sache: Das Grün ist einfach ein anderes. Wir stapfen durch den Matsch und atmen eine kalte Regenluft - so schön kann Regen sein. Unterwegs stehen ein paar Sägestände, wo die an vielen Häusern zu findenden Holzschindeln entstehen. Der Pfad wird zum Teil über Stege geleitet, weil der Matsch und das Wasser überhand nehmen. Der See liegt malerisch inmitten tiefschwarzen Vulkansandes. Nach fünf Stunden Fußmarsch sind wir doch ziemlich froh, dass der Holzofen brennt und wir uns und unsere nassen Klamotten wieder schnell trocken bekommen. 

(Mehr Fotos: https://www.schoenwegsein.de/fotoalbum-erlebnis-s%C3%BCdamerika/chile-und-patagonien/carretera-austral/ )

Chaitén (01.11.-03.11.2019)

5000 Einwohner

Die Wolken hängen im Fjord von Hornopirén fast bis zum Wasser. Der schöne Blick auf die umliegenden Berge bleibt uns versagt, als wir auf die Fähre fahren. Trotzdem ist die Ausfahrt ein Nebelschauspiel. Wir richten uns mit dem vorbereiteten Frühstück im Kantinenraum ein. Ab und zu brechen die Nebelschwaden auf, an den steilen Hängen an Land rauschen die Wasserfälle, kleine Siedlungen tauchen ab und zu auf - ansonsten Bäume, Wasser, Felsen, Schnee, Wasser, Bäume, Felsen ... nach knapp drei Stunden erreichen wir Leptepú, im Konvoi geht es die 10 Kilometer zur Anschlussfähre und nach weiteren 45 Minuten haben wir Caleta Gonzalo erreicht. Hier beginnt der sagenhafte Parque Pumalín, dem privaten Stiftungswerk von Douglas Tompkins.

Als Gründer von „North Face“ und Mitinhaber von „Esprit“ reich geworden, widmet er sich seit den 90er Jahren ökologischen Bewirtschaftungsinitiativen. In Chile und Argentinien kaufte Tompkins zusammenhängende Urwaldgebiete und machte daraus unter anderem den Naturpark Pumalín als Modell nachhaltigen Umweltschutzes. Die 550.000 Hektar erstrecken sich von Hornopirén bis Chaitén, das Eingangstor zum schönsten Abschnitt sehen wir direkt nach Fährausfahrt vor uns. Wenn jemand mit viel Geld auch noch Geschmack und Verstand hat, ist das selten, aber schön anzusehen und auch noch nützlich!

Wir fahren in den grünen Dschungel der Carretera Austral und machen nach 13 km einen ersten kleinen Ausflug auf dem Sendero Alerce, einem Rundweg, der durch einen paradiesischen Urwald mit 3000 Jahre alten Alercen, Wasserfällen und Riesenfarnen führt. Die Baumstämme der Alercen sind mindestens drei Meter dick.

An der Strecke kann man immer wieder die tollen Einrichtungen des Naturparks Pumalín bestaunen. Alles Tipp-top hergerichtet: Campingplätze, Picknickstellen, Unterstände und Wanderwege mit Parkplätzen. Wir hoffen auf morgen, dann soll das Wetter etwas besser werden und wir können ein paar Wege gehen.

Als wir gegen 19.00 Uhr Chaitén erreichen, kommt tatsächlich die Sonne raus. Wir gehen Fisch essen und freuen uns in unserem Refugium auf den nächsten Tag. Der Plan sieht zwei Wanderungen vor, ob wir das durchhalten?


Chaitén ist nicht gerade schön, aber eine Ortschaft mit Charakter. Als im Mai 2008 der fast vergessene Vulkan Chaitén ausbrach und die gesamte Ortschaft und umliegende Bereiche verwüstete, haben die Bewohner mit Energie und Starrsinn den Wiederaufbau durchgesetzt. 5000 Bewohner haben durchgehalten und leben nun mit den noch sichtbaren Wunden. Der Vulkan ist auch immer noch rauchend sichtbar. Für den Nachmittag nehmen wir uns den Weg zum Kraterrand vor, aber vorher geht es den Sendero Tronador zu einem Waldsee hinauf. Die Wege sind steil und vom Dauerregen der letzten Tage extrem aufgeweicht. Aber die Sonne spielt uns in die Karten und zaubert uns in Zusammenarbeit mit den Wasserfällen und dem dichten Pflanzenbewuchs ein Farbenmeer auf den Weg: Das es so viele unterschiedliche Grünschattierungen gibt, erstaunt uns immer wieder. Unser Favorit ist der Riesenrhabarber (Pangue-Pflanze oder auch Nalca), der hier überall Regenschirmgröße erreicht. Nach steilem Auf- und Abstieg sind wir ziemlich geschafft und machen ein kleines Mittagspicknick mit Blick auf den Lago Negro bevor es zum Aufstieg zum Vulkan weiter geht. Der Aufstieg ist nicht schwer, aber beschwerlich. Die vielen überdimensioniert hohen Stufen ziehen uns die letzte Energie, aber wir schaffen es und werden mit einem imposanten Kraterblick und einer unglaublichen Rundsicht vom dampfenden Vulkan bis zum Pazifik belohnt.  In Chaitén gibt es noch ein Abendessen und dann fallen wir total erschöpft ins Bett.

Puyuhuapi (03.11.-05.11.2019)

900 Einwohner

Ein- und Auspacken funktioniert bei uns mittlerweile als eingespieltes Team. Wir frühstücken in der Küche unseres Hostals gemeinsam mit Heiko aus Dresden, der als Lehrer allein sein Sabbatical durchzieht. Wir entdecken auf die Schnelle ziemlich viele Gemeinsamkeiten und wollen uns am Abend eventuell in Puyuhuapi zum Bier treffen.

Bis dahin machen wir uns auf, einen weiteren schönen Wanderweg zu erschließen. Ein paar Kilometer weiter beginnt eine wunderschöne Fluss-Uferstraßenfahrt am Rio Yelcho, der aus dem Lago Yelcho strömt, der wiederum vom Gletscher, dem Ventisquero Yelcho, gespeist wird. Der türkisgrüne kleine Yelcho, der Rio Yelcho Chico, rauscht uns entgegen, als wir das Auto am Anfangspunkt des Wanderweges hinauf zum Gletscherrand abstellen. Noch ist es trocken, aber die graue Wand über dem Berg ist ein hundertprozentiges Versprechen auf ein weiteres patagonisches Regenwalderlebnis. Und so kommt es, wie es kommen muss: Nirgendwo regnet es so schön wie in Patagonien. Dem Flusslauf entgegen kämpfen wir uns durch den Matsch, es tropft in alle Poren und Ritzen, aber es ist wunderschön, wie Nebel, Riesenfarn, Flechten, Baumpilze, Flusstürkisrauschen, Vogelgezwitscher, Blütenfarben, Busch- und Baumgrün und das Schmatzen der Fußsohlen zu einer Sinfonie der Sinne zusammenfinden. Dass wir frieren wie die Schneider, merken wir erst, als wir dem Gletscher auf die tropfende Zunge schauen und uns klar wird, dass wir den Weg auch wieder zurück müssen. Nach knapp vier Stunden und lustigen Umziehaktionen im Unterstand des Wandererparkplatzes freuen wir uns über die 25°C, die uns die Autoheizung produziert. Unsere Strecke ist auch im Dauerregen weiter wunderschön. Das Flusstal, in das sich die Carretera Austral heute hineinlegt, passt zu unserer Gemütslage: Rio Frio (der dann in den Rio Palena fließt). In La Junta gibt es noch ein zünftiges spätes Mittagessen, Pulpe, geselchtes Schweinefleisch. Wir sind so begeistert von der Pasta de Ají, einer leckeren Salsa aus geräucherten Chilis und Öl, dass uns die Chefin kurzerhand ein halbes Marmeladenglas davon abfüllt. Das kommt ab jetzt auf jede Käsescheibe.

Schließlich erreichen wir Puyuhuapi, wo unser Gastgeber schon auf uns wartet und stolz seine komplett selbst entworfene Canbaña präsentiert. Wirklich urgemütlich eingerichtet und alles schon schön warm. Der Ofen glüht schon und wir können uns und die Sachen schnell trocknen. Schön, dass wir uns für zwei Nächte hier einquartiert haben, das wird richtig gemütlich. Heiko aus Dresden sehen wir nicht mehr wieder, er ist scheinbar weiter gefahren und lässt sich diesen schönen kleinen Fischerort an der Nordspitze des Ventisquero-Fjords - eine Gründung sudetendeutscher Aussiedler, die 1936 aus ihrer deutschen Heimat der schlimmen Zeit hellseherisch entkommen sind - entgehen. Ein paar niedliche Restaurants, nette Cabañas und ein grandioser Fjordblick sind die Trümpfe des Orts. Überall treffen wir auf deutsche Straßen- und Häusernamen. Hier beginnt der Nationalpark Queulat und es gibt am Rande des Fjords Thermalquellen.


Die Sonne strahlt am nächsten Morgen in unser Refugium und wir freuen uns auf einen sonnigen Tag in den Thermas del Ventisquero. Direkt am Fjord liegen die 35 - 40 °C warmen Wasserbecken. Wir sind fast allein vor Ort, noch ist nicht Hauptsaison und viele europäische Touristen haben sich schon vom Ausnahmezustand abschrecken lassen. Es ist dann mal wieder Zeit, sich zu kneifen: Wir sitzen in einem Wasserbecken mit Badewannengefühl, in der Hand ein Golden Pale Ale und die grandiosen Bergwände des Ventisquero-Fjords vor Augen. Dazu strahlt die patagonische Sonne das erste Mal so richtig heftig auf uns nieder. Sigrun wechselt regelmäßig zwischen Fjordwasser und Becken, Heiko bleibt im warmen Wasser, bis die Hände komplett eingeschrumpelt sind - herrlich. Der Tag wird dann auch noch mit einer Papilotte abgerundet, die in Paris auch nicht besser hätte sein können. Puyuhuapi verlassen wir ungern wieder, aber vor uns liegt auch nicht das Schlechteste.

Coyhaique (05.-06.11.2019)

50.000 Einwohner

Im Parque Nacional Queulat haben wir uns den Wanderweg zum Gletscher ausgesucht. Halbwegs trockenen Fußes können wir den Weg zum Ventisquero Colgante in Angriff nehmen. Eine beeindruckende Hängebrücke überquert den rauschenden Fluss, bevor es steil hinauf zur Aussichtsplattform geht. Zwischendurch gibt es immer wieder schöne Ausblicke auf das Tal und die Laguna Témpanos

Unsere Fahrt geht weiter Richtung Coyhaique über die Pässe des Nationalparks. Das Wetter wechselt hinter jedem Berg, die Aussicht auf Seen, Flüsse, Täler und Wasserfälle ist mal wieder grandios.

Coyhaique ist die letzte größere Stadt, in der wir uns für die nächste Woche eindecken. Vom Hostel und der Stadt ist ansonsten nicht großartig etwas zu erwähnen, außer dass auch hier die Anzeichen der Demonstrationen wieder sichtbar sind.


Puerto Ingeniero Ibañez (06.-08.11.2019)

2.500 Einwohner

Als wir uns aus Coyhaique am nächsten morgen heraus manövrieren, werden wir von einer Demo gestoppt, die die Hauptverkehrsader blockiert. Das wirft uns um Stunden zurück, so dass wir erst gegen 13.00 Uhr weg kommen. 

Es wird richtig stürmisch, aber die Sicht bleibt phantastisch, besonders als wir die Gegend um die Cerro Castillo erreicht haben. Bevor wir nach Puerto Ibáñez abbiegen, machen wir noch einen kleinen Abstecher nach Villa Cerro Castillo, wo wir die Manos de Cerro Castillo besuchen, acht bis zehntausend Jahre alte Felszeichnungen, die vor allem Handabdrücke darstellen.

Und dann geht es bei windig-sonnigem Wetter hinab zum blau leuchtenden Lago General Carrera. Wenn wir es nicht genau wüssten, die kroatische Küste leuchtet genau so.

Unsere Cabaña hat eine gut ausgestattete Küche. Und wir kochen uns eine schöne Caldillo de Mariscos. Wir haben in Coyhaique einen Beutel Meerestiere (Paila Marina) erstanden und ein Rezept darauf entdeckt - lecker:


Caldillo de Mariscos

Zutaten:

2 mittelgroße Zwiebeln

Longanizas (oder Chorizos)

Sonnenblumenöl zum Anbraten und frittieren

3 festkochende Kartoffeln

Eiswasser vorbereiten, Küchenpapier

1 frische grüne Chili

Paila Marina (Muschel- und Schalentiermischung, vorgekocht und tiefgekühlt)

500 ml Weißwein

200 g Weißfischstücke, Seehecht (Merluza) oder Seeaal (Congrio)

Kreuzkümmel gemahlen (Cumin)

geröstete Chili gemahlen (Merkén)

geriebene Schale von einer Zitrone/Limetten, Limettenspalten

gehackter frischer Koriander

Schnell gemacht:

Zwiebeln enthäuten, Würste stückeln.

Zwiebelringe schneiden und in einer Pfanne mit etwas Öl anbraten. Kartoffeln schälen, in dünne Scheiben schneiden und in eine Schüssel mit Eiswasser geben. Die Würste und die grüne Chili in die Zwiebelpfanne geben, gut umrühren und die Meeresfrüchte (Paila Marina) sowie den Weißwein dazugeben und einkochen lassen. 

Das Öl in einem Topf erhitzen, wenn es sehr heiß ist, die Kartoffeln mit Küchenpapier trocknen und goldbraun frittieren. 

Die Fischstücke zuletzt für kurze Zeit mitgaren. Die Brühe in eine Schüssel legen und mit den Kartoffelscheiben, etwas Cumin, rotem Chilipulver, der Zitronenschale und gehacktem Koriander dekorieren.

Mit Limettenstücken und einem guten Weißwein servieren.


In Puerto Ibáñez organisieren wir uns die Fährüberfahrt nach Chile Chico und nutzen den Donnerstag zur Erkundung der Peninsular Levicán. Der berauschende Wasserfall des Rio Ibáñez ist das Eingangstor in eine einsame und trockene Landschaft mit schönen, aber sehr windigen und kalten Sandstränden. Und überall der blaue See, der hier ja noch ein kleiner Ausläufer vom eigentlichen See ist. Der Lago General Carrera ist genau so groß wie der Titicacasee. Und in Vorfreude auf die Tour auf und um den See auf der Strecke nach Süden packen wir wieder unsere Sachen zusammen.

Cochrane (08.-09.11.2019)

3.000 Einwohner

Unsere Fährüberfahrt findet bei strahlendem Sonnenschein statt. Es wird mit jeder Stunde wärmer und unsere Fahrt auf der Schotterpiste hoch über dem See hat wirklich etwas von Mittelmeer. Nur die Berge sind hier noch schöner. Schneebedeckt leuchten sie am anderen Ufer auf, spiegeln sich gelegentlich im See, nach jeder Kurve ein anderes Spektakel! Kurz bevor wir den See verlassen, kann Sigrun nicht mehr an sich halten und nimmt ein Bad mit Gletscherpanorama.

Und weiter geht die Fahrt entlang des Rio Baker, dem wasserreichsten Fluss Chiles. Auch hier schlängelt sich rauschendes Türkis durch enge Schluchten. Als wir in Cochrane ankommen ist fast Sommer. Wir können unser Ankunftsbier schon draußen genießen und freuen uns auf die Wanderung zum Rio Cochrane, die wir Samstag früh in Angriff nehmen, bevor es nach Tortel weiter geht.

Der Eingang zum Reserva Nacional Tamango hat schon einen schönen Blick auf den klaren Rio Cochrane zu bieten. Ein Campingplatz direkt am See lockt bei diesen Temperaturen einige ins Zelt. Wir wandern hinauf zum Mirador und schauen tief hinab in den Fluss, der so klar ist, wie kein anderer. Als wir am Nachmittag zurück sind, überlegen wir kurz, ob wir nicht noch einen Zelttag hier einlegen, aber dann fahren wir doch nach Tortel.

Tortel (09.-12.11.2019)

500 Einwohner

Unterwegs klären wir die Kontakte zur Cabaña. Als wir in Tortel ankommen, ist es schon acht Uhr abends und unser Gastgeber holt uns am Parkplatz ab. Dieser Ort ist wirklich etwas Besonderes. Vom Parkplatz geht es nur noch zu Fuß weiter, der ganze Ort besteht aus hölzernen Stegen, Plattformen und Holzhütten, die wiederum in die Hänge und Buchten auf Pfählen errichtet wurden. Unsere Cabaña ist gottlob gleich in Parkplatznähe, es kann auch sein, dass die Sachen 30 Minuten treppauf und treppab geschleppt werden müssen, wir aber sind in 30 Minuten eingerichtet und sitzen vor einem brennenden Ofen, schauen auf die Berge und die Bucht im Sonnenuntergang und sind gespannt auf Tortel, das wir uns in Gänze am nächsten Morgen erschließen.

Tortel muss noch vor 20 Jahren kaum erreichbar gewesen sein. Ein paar Hütten waren in die Hänge gezimmert, aber nur vom Meer aus erreichbar. Die 22 Kilometer Abzweig von der Carretera Austral sind erst kürzlich fertig geworden. Seitdem kommen die Touristen und bewundern den hölzernen Ameisenhaufen. Überall wird gehämmert und gezimmert. Wenn man bedenkt, dass alles, was man hier konsumiert, vom Land aus nach unten oder vom Wasser aus nach oben getragen werden muss, sind die Preise in den kleinen Mercados noch erträglich. Nach ausgiebiger Treppentour bis zum Ende der Bucht finden wir tatsächlich auch ein richtig gutes Restaurant. Im „El Mirador“ kochen junge Franzosen und es gibt Cerveza Artesenal aus dem Zapfhahn - und das alles auf Stelzen. Jetzt fehlt nur noch besserer Wetter. Die Hänge, die sich den Fjord hinaufziehen, lassen eine herrliche Bergwelt erahnen.

Und am Morgen des nächsten Tages strahlt tatsächlich nicht nur die Sonne, sondern auch das weiß der umliegenden schneebedeckten Bergwelt. Wir gehen aus Tortel hinaus auf die Höhe und wandern durch die sehr feuchten umliegenden Höhenwiesen, oder besser Höhensümpfe. Die Sonne brennt und die Sicht auf den Fjord und die Berge ist ein Traum. 

Am Nachmittag kämpfen wir dann wieder mit den Tücken des Alltags. In Tortel gibt es nur eine Antenne für Mobiltelefone. Da wir keine entel-SIM haben, geht bei uns gar nichts, wir wollten aber unbedingt mit Charlotte kommunizieren. Also noch eine Tarjeta-SIM gekauft und über gelegentlich aufflackerndes 3G gefreut. Am Abend haben wir Lottis Themen bearbeitet und sind glücklich über einen gelungenen Frühlingstag mit Panoramablick.

Villa O`Higgins (12.-16.11.2019)

Früh um 10.00 Uhr geht es zur Fähre nach Puerto Yungay, die kostenlos 3-4mal täglich nach Rio Bravo hinüberfährt. Es entwickelt sich ein schöner Frühsommertag, die letzten 100 km der Carretera Austral nach Villa O`Higgins sind noch einmal eine Panoramatour. Dieser Teil der Straße ist erst in den 90er Jahren entstanden, um die Militärbasis an der Grenze zu Argentinien zu verstärken. Der Ort hat sich seitdem touristisch gemausert. Das Highlight neben den vielen schönen Wanderwegen um das Tal herum ist die Schiffstour zum Gletscher O`Higgins. Wir buchen gleich nach Ankunft für den nächsten Tag und haben Glück, dass das Boot noch fährt. Eine Cabaña ist schnell gefunden und so sind wir schon am Nachmittag eingerichtet und haben den Ort erkundet - kein Kunststück bei den vier Parallelstraßen.

Die Verbindung zum Gletscher ist eine Mischung aus Fähre - Wanderer und Radler können die Verbindung über Candellario Mancilla weiter in die argentinische Region um El Chaltén erreichen - und Ausflugsboot. Mit einer Radgruppe und ein paar anderen Touristen machen wir uns am Mittwoch auf den Weg. Es wird langsam windiger und wir wundern uns über das Boot. Wir hatten eigentlich mit einer Art Ausflugsdampfer gerechnet und unser Picknickessen eingepackt. Eingestiegen sind wir aber in ein busartiges Schnellboot (Kotztüten und Sicherheitsgurte inklusive), das mit uns in See sticht und schon bald in bedenklichen Seegang gerät. Spätestens nach Ablegen von Candellario Mancilla wird es dann richtig ungemütlich und die ersten Landratten nutzen ihre Tüten. Es wird aber auch schön, denn im Wasser treiben immer mehr Eisblöcke, erst klein, dann immer größer und schließlich gelangen wir zur Gletscherzunge, die ihre weißblaue Pracht unablässig in den See schiebt. Ein beeindruckendes Schauspiel. Allerdings wird uns auch hier der Klimawandel vor Augen geführt, denn der Gletscher verliert jedes Jahr etliche Längen und Höhenmeter und hat sich seit 1989 um fast einen Kilometer verkleinert.

Einige hundert Eisbergfotos weiter fliegen bzw. fahren wir durch hohen Wellengang gegen den Wind wieder in Richtung Villa O`Higgins. Das dauert aber ganz schön lange und einige Passagiere müssen Tüten nachordern. Das Anlegemanöver wird provisorisch erledigt, bei diesem Wind kann das Boot nur noch an einem alten Kutter festmachen und die geschundenen Touristen müssen auch noch hier drüber klettern. Ein paar Tage später haben wir gehört, dass die Tour für die nächsten Tage abgesagt wurde, weil Wind und Wellengang die Tour nicht mehr zuließen - Glück gehabt.

Für die nächsten Tage steht Wandern auf dem Programm. Ausnahmsweise haben wir mal eine ordentliche Wanderkarte gefunden, die die örtliche Robinson-Lodge herausgibt. Am Donnerstag gehen wir den Weg hinauf zum Alta-Vista-Mirador. Die Brücke über den Rio Mayer, der kurz danach in den Lago O`Higgins fließt, ist unser Startpunkt und ein seichter Anstieg führt hinauf zu wunderschönen Ausblicken, manchmal ins Tal um den Ort, manchmal zu den beiden Gletschern Mosco und Huemul und manchmal zu den Schneegipfeln des Alta-Vista-Massivs und zum Lago Ciervo. Aber das Schönste war der von Sigrun entdeckte Huemul, der sich in der Bergwand sonnte. Ein wunderschöner Anblick. Leider setzt sich der angekündigte Wetterumschwung kurz vor dem Mirador durch. Für die nächsten Tage regnet es fast ununterbrochen, nur durch eine dreistündige Sonnenpause am Freitag kurz aufgehalten, in dieser Zeit laufen wir auf der Seite des Mosco zum Mirador. Mehr ist nicht drin, der Rest ist Dauerregen, Holzofen, Bierchen, Bratkartoffeln und Dosenfisch.

Die größte Aufregung liegt noch vor uns. Überpünktlich machen wir uns auf den Weg nach Rio Bravo. Die knapp einhundert Kilometer zurück zur Fähre, die jeder Autofahrer nehmen muss, wenn er weiter will, sollten auch bei Dauerregen in zwei Stunden geschafft sein. Die Fährzeiten sind 11.00, 13.00, 16.00 und 19.00 Uhr und damit wir unsere Fähre nach Puerto Natales auch rechtzeitig in Puerto Yungay befahren können, wollen wir mindestens die 13.00-Uhr-Fähre nehmen. Als wir gegen 11.30 Uhr ankommen, sehen wir die 11.00-Uhr-Fähre schon abgefahren planmäßig im Fahrwasser des Fjords. Jetzt heißt es also warten.

(Mehr Fotos: https://www.schoenwegsein.de/fotoalbum-erlebnis-s%C3%BCdamerika/chile-und-patagonien/carretera-austral/ )

Fährfahrt durch die Fjorde Südpatagoniens: Puerto Yungay - Puerto Natales (16.-18.11.2019)

Leider taucht weder 13.00 Uhr noch 16.00 Uhr eine Fähre auf. Die Unruhe steigt mit jeder Minute. Die Streckenlinie der Fähre ist nicht einsehbar, weil der Anlieger in einer kleinen Bucht liegt. Mittlerweile stehen wir zusammen, Motorradfahrer aus Paraguay und Brasilien, Autofahrer aus Belgien und Chile und ein einheimischer Laster und starren die Ecke der Bucht an - es muss doch da jetzt etwas kommen! Der Chilene hat auch schon ein Fährticket für Puerto Natales und wir haben unsere Tour schon gemeinsam abgeschrieben. Nachrichten sind nicht zu bekommen, es gibt keinen Empfang von irgendwas. Aber dann gibt es eine Lösung, das hat uns auf diesem Kontinent ja schon mehrfach  imponiert: Unsere große „Crux Australis“, die Puerto Yungay schon angesteuert hatte, ist kurzerhand zu uns weiter gefahren und hat alle Wartenden nach Puerto Yungay gebracht. Das wäre in Deutschland undenkbar. Wir freuen uns riesig, dass nach sechs Stunden Warten tatsächlich noch alles klappt. Die Fähre, die wir um kurz nach 11.00 Uhr haben wegfahren sehen, ist kaputt gegangen und keiner konnte Bescheid geben. Die nächste Station, die man hätte anfunken können, war Villa O`Higgins, 100 Kilometer weiter.

So können wir gleich an Bord bleiben und unsere Sitze einrichten, die für die nächsten 44 Stunden unser Refugium darstellen; strategisch günstig an der Bar und mit Beinfreiheit. Es gießt immer noch wie aus Eimern, zu sehen ist nicht viel auf den ersten Seemeilen.

Gegen 23.00 Uhr erreichen wir Tortel und dann geht es in die Weiten der patagonischen Schären. Wir trinken heimlich ein Einschlafweinchen (an Bord herrscht striktes Alkoholverbot) und dann kuscheln wir uns in die Schlafsäcke. Vom Wellengang eingelullt, haben wir die Nacht dann ganz gut durchgeschlafen.

Der nächste Tag an Bord ist ein Wechselspiel aus rein- und rausgehen, Kaffeetrinken und Lesen, Essen und Schlafen. Auch das Wetter macht beim Wechselspielchen mit: Sonne, Regen, Wind usw. Die einzige Konstanten sind das Brummen der Dieselmotoren und die Schönheit der unberührten Natur. Tausende Inselchen, steil aufragende Berghänge, aus denen, wohin man sieht, Wasserfälle sprudeln, schneebedeckte Gipfel, Delfinschwärme als ständige Begleiter und ein fast schwarzes Blau des Meeres. Hinter jeder Kurve das Gleiche - nur ganz anders. 

Mit dem Barmann sind wir schon am ersten Abend so dicke, dass er uns seine Dealerware - normales Bier mit Alkohol -  verkauft und auch nichts gegen unseren mitgebrachten Wein sagt. mit dieser leichten Brise Einschlafmittel lässt sich auch die zweite Nacht in den Pullmannsitzen gut rumkriegen, vor allem, weil wir mehr Beinfreiheit haben und unser Barkumpel seine Proviantkiste als Beinbank zur Verfügung stellt - das sind fast Bettgefühle.


Um 16.00 Uhr werden wir von der Sonne pünktlich in Puerto Natales begrüßt und wir rollen unseren Subaru die letzten 400 Meter zum Hotel.

Puerto Natales (18.-21.11. und 23.-24.11.2019)

20.000 Einwohner

Ein richtig netter urbaner Ort empfängt uns. Hier merkt man die touristische Ausrichtung. Massenweise gute Restaurants mit patagonischen Artesenalbieren und Meeresfrüchten, Souvenir läden und Outdoorshops, ein richtiger Supermarkt und wuseliges Treiben in den Straßen - das waren wir lange nicht gewohnt. Die Einheimischen sind allerdings schwer angeschlagen von den politischen Wirren - André, der sein kleines Bistro etwas abseits vom Zentrum mit viel Liebe zum Detail führt, beklagt sich über das Ausbleiben der Touristen und die vielen Stornierungen. Uns reicht die Touristenanzahl völlig, gar nicht auszudenken, wenn hier Hauptsaison ist und alle die gleiche Tour zum Parque Torres del Paine machen. André macht uns zwei Abende gutes Essen: Paila Marina, Congrio, Merluza. Wir bewundern seine Geschicklichkeit, die Bestellungen aufzunehmen, mit den Gästen zu plaudern und nebenbei das Essen zuzubereiten - alles allein und ohne Hast. 

An der alten Mole von Puerto Natales wechselt der Blick mit dem Wetter: Eben noch wolkenverhangen, können schon bald Sonne und Wind ein Schauspiel aus Schäfchenwolken und blauem Himmel aufführen. Dann kann der Blick über die Überreste der alten Holzmole hinweg weit auf die andere Seite des Fjordes und auf die schneebedeckten Berge schweifen. Richtig kitschig wird es, wenn die Sonne sich dunkelrot verabschieden kann.

Wir schlendern durch die Straßen mit den bunten Häusern und planen unsere nächsten Wandertage. Wegen der wenigen Touristen bekommen wir für zwei Tage Betten im Refugio Paine Grande. Vorher machen wir eine Tageswanderung im Gelände der Milodón-Höhlen. Das prähistorische Riesenfaultier Mylodon ist hier vom deutschen Abenteurer Hermann Eberhard 1895 gefunden worden und wird nun an jeder Ecke in Puerto Natales vermarktet. Die Wanderung zu den drei Höhlen ist allerdings eine schöne Rundtour durch die Natur, inklusive Kondorbeobachtung.

Am Donnerstag geht es dann früh in den Nationalpark Torres del Paine, von dem wir am Samstag noch einmal nach Puerto Natales zurückkehren.


Parque Nacional Torres del Paine (21.-23.11.2019)

Früh um halb sieben fahren wir die Schotterpisten zum Südeingang des Parks. Dies wird kein preiswertes Vergnügen, die Hauptattraktion der patagonischen Bergwelt vermarktet sich hervorragend, anders wären wohl die Touristenströme auch nicht zu bändigen. Am Eingang entrichten wir die 42.000 Peso Eintritt (50 €) und fahren bis zum Fährboot, das um 9.00 Uhr ablegt und uns über den Lago Pehoé (46.000 Peso) zum Refugio Paine Grande (130.000 Peso für zwei Nächte) bringt. Die kurze schöne Überfahrt bei Sonnenschein gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf die landschaftlichen Ausblicke der nächsten Tage: Türkisblaues Wasser vor schneebedeckten schroffen Felsformationen.

Um 11.00 Uhr sind wir startklar zum ersten Wandermarathon hinauf zum Grey-Gletscher. Langsam aber stetig geht es bergauf. An der Felswand des kleinen Einstiegstals kreisen die ersten Kondore. Spätestens ab der Laguna los Patos haben wir es mit heftigem Wind zu tun, der wie durch ein Staubsaugerrohr das enge Tal entlangbläst. Kurz darauf schauen wir auf das türkisgrüne Gletscherwasser, in dem die Eisberge des Greygletschers vom Wind an den Strand gedrückt werden - ein Geräusch wie in einem überdimensionierten Whiskyglas on the Rocks. Der Weg geht weiter bergauf und bergab, zwischendurch ergeben sich atemberaubende Blicke auf die Gletscherzunge hinter dem See, der wir uns immer weiter nähern, bis wir fast davor stehen.

Ziemlich fertig sind wir gegen 21.00 Uhr nach 22 Wanderkilometern wieder am Refugio Paine Grande, kochen uns eine Tütensuppe und schlafen, mit vier anderen Wanderern im Sechserzimmer, in unseren Schlafsäcken einen kurzen festen Schlaf.


Der nächste Morgen strahlt so dermaßen, dass wir unser Glück kaum fassen können. Einen so klaren Sonnentag gibt es hier ganz selten.

Unser zweiter Wandermarathon soll uns hinauf zum Aussichtspunkt des Glaciar Frances führen. Vorbei am schönen Lago Skottsberg und entlang des rauschenden Rio del Francés führt der Weg hinauf. Es ist schwer, sich auf die schwierigen Wegverhältnisse zu konzentrieren, weil der Blick doch immer auf die Gipfel der umliegenden Berge geht - so eine schwarzweiße Schönheit vor Himmelblau ist uns selten geboten worden. Als wir nach schweißtreibendem Aufstieg endlich vor dem Gletscher stehen, verschlägt es uns für einen Augenblick die Sprache. Alles lauscht den Gletschergeräuschen. Unablässig knirsch und kracht es und jeder Eisabbruch wird mit offenem Mund bestaunt. Wie klein ist doch der Mensch vor derartigen Naturgewalten!


Die Felstürme des eigentlichen Wahrzeichens, die drei Torres del Paine, kommen uns am nächsten Tag schon gar nicht mehr so spektakulär vor. Die Landschaft weitet sich auf dem Weg zur Startbasis des Weges hinauf zum Lago Torres, Guanakos grasen friedlich in den Flusslandschaften und schon vom Weiten sind die bekannten Türme zu sehen. Touristenströme kommen uns bereits entgegen oder steigen an einigen Aussichtspunkten für ein paar Fotos aus den Bussen. 

Wir haben alles gesehen und machen uns am Nachmittag auf den Weg zurück nach Puerto Natales, von wo aus der Weg nach Süden, nach Punta Arenas fortgesetzt werden soll.


Punta Arenas (24.-28.11.2019)

130.000 Einwohner

Die Attribute „letzte“ oder „südlichste“ werden von nun an häufiger vergeben. Mit Punta Arenas haben wir die berühmte Maggellanstraße und gleichzeitig die südlichste Festlandstadt der Welt erreicht. Wir waren vorher in den unendlichen Weiten Patagoniens, menschenleer und kaum zu besiedeln - nun liegt dort eine moderne Großstadt vor uns, die überraschend bunt und architektonisch interessant ist: Der explodierende Reichtum durch die Schafzucht Ende des 19. Jahrhunderts hat diese Stadt entstehen lassen. Bis heute sind die Wurzeln der vornehmlich europäischen Einwanderung an der Architektur und besonders an dem wunderschönen Friedhof zu bestaunen: Kroaten, Engländer, Schotten, Deutsche ... alle haben hier ihr Glück gesucht und zum Teil auch gefunden, wie man an den palastartigen Mausoleen auf dem Friedhof erkennen kann. 

Die Stadt macht einen modernen, weltoffenen Eindruck. Die Promenade putzt sich gerade wegen des bevorstehenden Jubiläums - 500 Jahre Maggellanstraße - heraus. Die Plaza de Armas ist bunt beblümt und sehr gepflegt - wenn da nicht die Wunden und Symbole der letzten Wochen wären, die auch hier zeigen, dass die Bürger der Stadt die soziale Ungleichheit nicht länger hinnehmen wollen. Trotz der Einigung auf einen neuen Verfassungsprozess gehen die Manifestationen auch in Punta Arenas weiter. Banken, Energieversorger, Museen, Kaufhäuser und Läden an den Hauptstraßen haben alle ihre Schaufenster geschützt. Viele Scheiben sind schon zu Bruch gegangen. Die Häuser sind mit den immer wiederkehrenden Forderungen und Ausrufen besprüht: Gegen die politische Nomenklatur, für freien Zugang zu Bildung, Gesundheits- und Energieversorgung und gegen den Ausverkauf des Landes an ausländische Konzerne. So sehr wir diese Forderungen nachvollziehen können, so sehr schockiert uns doch das enorme Gewaltpotential, das sich auch hier in der Provinz immer wieder entlädt.


Der letzte Schritt nach Süden soll hinüber auf Feuerland gehen. Drüben auf der anderen Seite der Magellanstraße kann man die Insel schon gut sehen. Dort liegt auf argentinischer Seite dann die wirklich südlichste Stadt der Welt - Ushuaia. Es ist immer noch etwas unwirklich, dass wir nun hier sind und vor vier Monaten noch in der Karibik baden waren. Das allersüdlichste Zipfelchen auf Kap Hoorn ist ja leider nur schwer zu erreichen - nur wenige Anbieter fahren das Kap an und wollen dafür ein Heidengeld haben. Unser Reiseführer hat zwar einen Tipp für Spontane parat, wie man an Last-Minute-Offerten kommen könne, aber wir machen uns da wenig Hoffnung auf einen Spontanausflug. Trotzdem suchen wir das kleine Hostal Aonikenk auf, das angeblich gute Beziehungen hat und manchmal für die eigenen Gäste etwas auftreiben kann. Und als wir pitschnass vor der Chefin Marisol stehen und ihr den Eingangsbereich volltropfen, lächelt sie uns an, nimmt den Hörer in die Hand und besorgt uns eine Schiffstour, die uns in vier Tagen durch die Magellanstraße, den Beagelkanal und die Fjorde Südfeuerlands und über Kap Hoorn nach Ushuaia bringen wird - und alles für eine Halbpreisofferte, die wir nach kurzer Überlegung nicht ausschlagen können. Wir werden diesen Kontinent nun also allersüdlichst umfahren! Das Auto bleibt hier im Hostal und am 03.12. fahren wir mit dem Bus aus Ushuaia zurück nach Punta Arenas. Super Plan! Sollte aufgehen!

Punta Arenas - Kap Horn - Ushuaia (28.11.-02.12.2019)

Die Venta Australis ist ein schönes kleines Schiff und mit ca. 140 Passagieren auch noch übersichtlich besetzt. Neben den Kabinenfluren gibt es ein Restaurant im Unterdeck und eine Kaffee- und Barlounge im Oberdeck. Schon im Eingangsbereich kommen wir mit Angelika und ihrem Sohn Alexander ins Gespräch, die ähnlich wie wir etwas Bammel vor einem typischen Kreuzfahrtklima haben - aber der erste Eindruck entspannt schon einmal.

Pünktlich um 20.00 Uhr legen wir ab, beginnen die Fahrt durch die Magellanstraße in südliche Richtung und biegen dann in den östlicheren Canal Whiteside ein, wo wir am Morgen die Ainsworthbucht erreichen werden. Bis dahin gibt es schon einmal ein paar Informationen zur Kultur, Geschichte und Geographie Feuerlands. Die gesamte Crew der Venta Australis legt großen Wert auf Umweltbewusstsein und bewusstes Reisen. Es gibt keine Plastikflaschen an Bord, alles wird recycelt und die Landgänge sind penibel auf störungsfreies Wandern und Beobachten ausgerichtet: Erosionsloses Anlanden, vor und nach dem Verlassen des Bootes Schuhreinigung mit einer Spezialflüssigkeit, damit einer Verschleppung von Bakterien oder fremden Samen in den besuchten Ökosystemen vorgebeugt werden kann, jeder hat die Aufgabe, Müll zu vermeiden und eventuell einzusammeln usw. Nebenbei kann man sich aber auch sehr gut beköstigen und das gute Cerveca Austral genießen. Alex ist ein richtiger Bayer, mit dem man da gut „zusammenarbeiten“ kann.


Am Freitagmorgen geht es auf Landgang in die Ainsworthbucht. Wir sind hier an der nördlichen Spitze des Darwin-Eisfeldes und haben beim Anlanden einen schönen Blick auf den Glaciar Marinelli, der sich in die Bucht schiebt. Ein Pärchen Kopfkarakaras (Caracará plancus) empfängt uns. Enzo, unser allwissender Guide, bringt uns eine Menge über Glaziologie und Botanik bei. Wir wandern gemeinsam durch den patagonischen Regenwald. Südbuchen haben sich hier gegen den Wind gestemmt, Wasserfälle rauschen herab und das gesamte grüne Farbspektrum der Moose, Flechten, Gräser und Bäume mischt sich mit dem Rot des Feuerbusches (der „Notro“, Embothrium  coccineum) und dem Gelb der Calafateblüten („buchsblättrige Berberitze“, Berberis microphylla). In Ufernähe kommt dann der pinkfarbene Teppich der Armería maritima („Seepink“) dazu - eine karge Schönheit breitet sich hier aus und wir genießen jeden nassen Schritt. 

Bis zum Nachmittag navigieren wir weiter zu den Tucker-Islands, wo die halbe Speicherkarte mit Magellanpinguinen (Spheniscus magellanicus) und Kormoranen („Blauaugenscharbe“, Phalacrocorax atriceps) gefüllt wird. Auch Kondore kreisen über den Felseninseln. Und wie das Wetter es zulässt, öffnet und schließt sich der Wolkenvorhang und gibt den Blick auf die noch südlich gelegene Bergwelt der Cordelliera Darwin, der einzigen Gebirgskette der Anden, die sich von West nach Ost erstreckt, frei. Der Fahrplan sieht vor, dass wir diese Gebirgskette mit den vielen berühmten Gletschern westlich umfahren und dabei den engen Canal Gabriel, der die Dawson-Insel von Feuerland trennt, passieren: Back- und steuerbords hoch aufragende Felsformationen, aus denen unendlich viele Wasserfälle schießen. Wohl kaum ein Mensch hat je dieses Land betreten. Bevor es dunkel wird, geht es südlich durch den Canal Magdalena und nachts ein Stück über offenes Meer um das letzte südwestliche Zipfelchen Feuerlands, die Península Brecknock, herum. 


Am Samstagmorgen liegt der berühmte Canal Beagle vor uns, wir fahren also entgegen der Darwin-FitzRoy-Fahrtroute und biegen in den Fjord des Piagletschers ein. Darwin war der Erste, der die Glaziologie, die uns Enzo vor dem beeindruckenden Gletscher erklärt, genau beschrieben hat. Obwohl es Strippen regnet, haben alle ein breites Grinsen im Gesicht. Der Blick auf diese 1,1 Kilometer lange und 300 Meter hohe Eiswand ist atemberaubend. Alle paar Minuten kracht und knirscht es irgendwo. Eisblöcke treiben dazu im Fjord.

Die Fahrt der Venta Australis geht langsam weiter - vorbei an den vielen Gletschern, die hier „Gletscher-Allee“ genannt wird. Ein einmaliges Erlebnis, die Wasserfälle des Glaciar Romanche zu sehen und sich am mächtigen Glaciar Italia vorbeizuschieben.

Am Abend tauchen die Lichter Ushuaias auf, aber noch ist es nicht so weit. Die Venta Australis biegt noch einmal nach Süden ab: Ziel Kap Hoorn, durch den Canal Murray erreichen wir offene See, und das merken wir auch an den Weingläsern, die wegen des Seegangs nicht mehr ganz vollgeschüttet werden können.


Ein Bilderbuchsonntag steht uns bevor! Wir werden am Kap Hoorn anlanden, das Wetter spielt mit. Mit dem ersten Morgenkaffee in der Hand sehen wir den Felsen des Kaps und den Leuchtturm in der Morgensonne leuchten. Der Wind ist für Kap Hoorn schwach aus West (max. 30 Knoten wären für das Anlanden noch erträglich). Gegen 7.00 Uhr sitzen wir im Beiboot und fahren zum Anlandepunkt, an dem der von der chilenischen Marine berufene Leuchtturmwärter schon auf uns wartet. Dieser Job wird jährlich neu vergeben und die gesamte Familie darf mit.

Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, an denen sich Menschen  so  verwundbar  fühlen, umgeben von  einer mystischen Aura. Kap Hoorn ist einer davon. Kap Hoorn liegt auf  55° 59’  südlicher  Breite und  67° 19’ westlicher Länge, zwischen zwei Ozeanen. Ganze Bücher wurden geschrieben, wie schwierig es für die damaligen Segelboote  war Kap Hoorn zu umrunden. 

Nun stehen wir am Abhang und schauen ins Nichts der Südsee. Hinter diesem Nichts kommt irgendwann noch antarktisches Eis. Wir spüren auch, dass wir ab jetzt zurück fahren werden, die Freude auf zu Hause liegt genauso in der Luft wie etwas wehmütige Erinnerung an die vielen Erlebnisse der letzten Monate, die wir von der Nordspitze dieses Kontinents in der Sierra Nevada de Santa Marta bis hier am Fin del Mundo teilen durften. Hier schließt sich irgendwie der Kreis unseres Südamerikaabenteuers und wir freuen uns beide riesig, dass wir wirklich bis zum Kap gekommen sind.

Am Inselmonument ist ein schönes Gedicht der chilenischen Dichterin Sara Vial zu lesen, dies ungefähr die deutsche Übertragung:


Ich bin der Albatros, der am Ende der Welt auf dich wartet. 

Ich bin die vergessene Seele der toten Seeleute, 

die aus allen Meeren der Erde hierher kamen, um Kap Hoorn zu umschiffen. 

Aber sie starben nicht in den tosenden Wellen. 

Sie fliegen heute auf meinen Schwingen in die Ewigkeit 

mit dem letzten Aufbrausen der antarktischen Winde.


90 Minuten später geht es wieder nach Norden. Die Insel wird östlich passiert und wenig später sind wir wieder in den Fjorden unterwegs - letzte Anlandung wird die durch Robert Fitz Roy und Charles Darwin berühmt gewordene Wulaia-Bucht sein. Wer die gescheiterten „Experimente“ des Kapitäns Fitz Roy mit den entführten Yámana um Jemmy Button nachlesen möchte, dem empfehlen wir an dieser Stelle die einschlägige Lektüre zur zweiten Fahrt der Beagle (Wir haben immer wieder bei Jürgen Neffe, Darwin. Das Abenteuer des Lebens. Goldmann-Verlag nachgelesen).  Wir bekommen unsere Nachhilfestunde wieder von Enzo, der hinreißend erzählen kann und gleichzeitig immer alle Sinne für die Umgebung scharf stellt. So erfahren wir in diesen 90 kurzweiligen Nachmittagsminuten neben der Jemmy-Button-Story das Wesentlichste über die Seenomaden Feuerlands (Yámana), die Besonderheiten der Flora und Fauna in der Wulaia-Bucht, die eine irre Be- und Zersiedlungsgeschichte zu bieten hat, und wir schauen auf die kleinen Dinge, etwa auf die wunderschönen  Pilze an den Südbuchen - die Dihueñe, auch Indianer-Brot oder lla-llao. Unter dem gleichen Namen gibt es 3 Arten. Sie wachsen an der Südbuche als Schmarotzer und  bilden an ihr  diese Tumore, „Knoten“ genannt. Die Dihueñe sind essbar, jedoch geschmacklos, wie uns Enzo gestenreich vorführt.


Hier endet unser Südpatagonienabenteuer. Die Venta Australis läuft am Sonntagabend in Ushuaia ein. Wir essen noch einmal hervorragend, schlafen gut und betreten am Montagmorgen um 9.00 Uhr das erste Mal argentinischen Boden.

Ushuaia (02.-03.12.2019)

60.000 Einwohner

Die Geschichte dieser Stadt ist schnell erzählt. Wer hier eine Stadt baut, achtet nicht auf Architektur, schnell muss es gehen. Die ersten Einwohner waren englische Missionare ab 1870 und obwohl der Stadtname eine Bezeichnung der Yámana ist („Bucht, die nach Osten schaut“), geht auch diese Missionsgeschichte für die Ureinwohner nicht gut aus.

Die südlichste Stadt der Welt lebt ansonsten von den vielen Touristen, die unbedingt diesen Punkt erreichen wollen, hier auf ein Kreuzfahrtschiff steigen oder - das trifft wohl auf die meisten zu - einfach hier weg wollen, weil sie angekommen sind und den Flieger nach Buenos Aires nehmen.

Aber die Lage am Beagle-Kanal ist sehr schön, rundherum Meer und Berge. Wir schlendern durch die Straße mit den vielen Touristenfallen und ärgern uns erst einmal über die Unverfrorenheit der argentinischen Banken. Ausländer bekommen am Geldautomaten maximal 4000 Pesos (60 €) und müssen dafür eine Gebühr von 375 Pesos zahlen, das ist Wucher. Viele Hotels und Gaststätten verlangen „efectivo“, weil sie selbst diese Gebühren umgehen wollen oder ganz an der Steuer vorbei arbeiten. Da es auf der Ruta 40 später gar keine Möglichkeit mehr gibt, Bargeld zu bekommen, ist hier jeder dieser Wegelagerei ausgesetzt.

Das hiesige Highlight ist das stillgelegte Gefängnis, das bis 1947 Sträflinge gequält hat - wer solche Geschichten mag, kann sich hinterher auch noch die gestreifte Kochschürze und andere Devotionalien kaufen. Wir verlegen uns also mal wieder auf den Genuss der heimischen Küche, die kann sich auch hier sehen lassen: Muscheln in der Casserole und Knoblauchbrot.

Am Morgen des 03.12. fährt der Bus pünktlich aus Ushuaia ab und wir fahren durch die unendlichen, windgepeitschten Steppen der Insel Feuerland bis zu dem (Land)-Strich, den argentinische und chilenische Diplomaten 1881 in ihrem Grenzvertrag gezogen haben (durch den Meridian 68° 36′ westlicher Länge). Das Grenzprozedere war dann noch einmal wieder eine Geschichte aus der Rubrik „Wie sinnlos ist die Gedankenwelt der Uniformierten?“ Hier freut sich jeder Beamte, wenn er nach endloser Langeweile irgendeinem Touristen eine Unannehmlichkeit bereiten kann, weil etwas unregelmäßig erscheint. Sigruns Ausreisestempel wurde am Schiff von der dortigen argentinischen Beamtin versteckt nicht hinter den Einreisestempel, sondern fünf Seiten weiter hineingedrückt. Prompt wollte man sie nicht ausreisen lassen und freute sich diebisch, jemanden zurück schicken zu können. Aber am Ende musste auch dieser kleine „Machthaber“ klein bei geben und uns passieren lassen, wir hatten ja alle nötigen Formulare und Stempel. Danach haben wir noch eine Stunde auf das Heraussuchen von zwei Äpfeln und drei Birnen gewartet und dann waren wir für 24 Stunden wieder in Chile. In Punta Arenas gab es  noch eine schöne Caldillo de Congrio und am Morgen des 04.12. ging es endgültig mit dem Auto weiter nach Argentinien.

El Calafate/Gletscher Perito Moreno (04.-06.12.2019)

17.000 Einwohner, 199 m

Der Wind weht hier das ganze Jahr über durch die Meerenge des Herrn Magellan, da muss man ganz schön gegenhalten beim Fahren. Wir fahren direkt an der Magellanstraße Richtung Argentinien. Der Grenzposten ist ein schmuckloser Zweckbau, der dem Wind trotzt. Wir dürfen passieren und fahren weiter bis und schnell vorbei an Rio Gallegos, der Hauptstadt dieser fast menschenleeren Provinz Santa Cruz. Von nun an gibt es nur noch uns, die Straße und den weiten Blick über die endlose patagonische Steppe, das trockene Schichtstufenland der Mesetas. Zäune entlang der Straße und gelegentliche Pappelinseln in der Ferne sind die einzigen Hinweise auf menschliche Aktivitäten. Die Schafgrasflächen der Estancias sind hier riesig, nur Guanacos kümmern sich nicht um Straße und Zäune und bevölkern diese Einöde massenhaft - ihr Phlegma wird ihnen auch sehr oft zum Verhängnis. Wenn sie nicht von den riesigen Trucks überfahren werden, dann bringen sie sich häufig selbst in den Drahtzäunen um. Entlang der Strecke bietet sich so ein gruseliges Bild von Guanacoleichen - von frisch überfahren bis zu Fellgerippen, bereits von den Geiern verspeist und im Zaun ausgetrocknet.

Der Himmel ist hier tatsächlich ein anderer. Während westlich der Andencordilliere Regenwolken dominieren, ist es hier sehr trocken (zum Vergleich: Puerto Montt hat 7000 mm Niederschlag, die östlichen Steppengebiete in Argentinien noch 150 mm). Der Himmel ist hellblau und von weichen weißen Wolkenstrichen durchzogen, wie die argentinische Nationalflagge. Zusammen mit den orange-braunen Steppengraszeichnungen und dem Spiel des Sonnenlichts ergibt sich ein warmes Farbenmeer, durch das man endlos der Straße folgend Richtung Horizont hindurchgleitet.

Und endlich ändert sich die Landschaft, es wird hügeliger und unten im Tal funkelt das türkisblaue Wasser des Lago Argentino, an dessen Ufer sich das kleine Städtchen El Calafate anlehnt. Schon die Ankunft verheißt uns: Hier lebt man vom Tourismus. Alles ist so, wie wir es von den mondänen Skiorten der Alpen kennen - lauter Outdoor- und Souvenirläden, Pubs, Bars, Cafés und Schokoladenkreationen. Wir quartieren uns in einem Hostel ein und fahren am Donnerstag früh die 80 km am See entlang zum König aller Gletscher. Der Perito Moreno ist nicht der größte seiner Art, aber keiner kann sich so schön präsentieren wie er. Seine schneeweiße Zunge bewegt sich andauernd in den See hinein - zwei Meter am Tag ist sehr schnell. Wir haben ungeheures Wetterglück und schauen bei blauem Himmel und purer Sonne auf das gleißende Weiß. Es knallt und knirscht wie auf einem Schießplatz und laufend bricht irgendwo ein Stück Eis aus der riesigen Masse. Davor blinkt der milchig grüne See. Die Parkverwaltung hat dazu einen wunderschönen Rundweg auf Gittern kreiert, so dass man sehr nah an den Gletscher herankommt und alle zwanzig Meter einen anderen atemberaubenden Blick auf das Naturschauspiel hat - die Speicherkarte glüht.

So ist es nicht nur ein Zurückreisen geworden, wir haben eine wahrhaft wunderbare Abschlusswoche hier in Argentinien. Selbst Autofahren ist hier Staunen. Weiter geht es vom Gletscher Perito Moreno zum nächsten Ort gleichen Namens, 700 km weiter nördlich.


Perito Moreno (06./07.12.2019)

3.600 Einwohner, 517 m

Ein Ort zum Durchfahren. Wer nach Norden weiter will, hat nicht viele Möglichkeiten zum Pausieren. Aber es ist alles da, was man braucht und die Stadt lebt ganz gut von der Nähe zum gleichnamigen Nationalpark und zum Lago Buenos Aires, den die Chilenen Lago General Carrera nennen. Dieser Teil des Landes gehört nur zu Argentinien, weil der Geograph und Naturforscher Francisco Pascasio Moreno den Grenzvertrag von 1881 clever interpretiert hat: Die Wasserscheide der Anden legt fest, wem das Land zugeschlagen wird. Moreno hat dafür gesorgt, dass der Rio Fénix in den Rio Deseado umgeleitet wurde und so in den Atlantik fließt. Die Argentinier haben es ihm mit etlichen Straßen-, Orts- und Gletscherbenennungen gedankt: „Perito“ bedeutet der „Fachmann“!


San Carlos de Bariloche (07.-09.12.2019)

140.000 Einwohner, 893 m

Die kleine Schweiz Mitten in Argentinien!

Entlang des Rio Fenix geht die Ruta 40 nach Norden. Gegen Mittag erreichen wir Gobernador Costa, eine Siedlung, die nur für das Auftanken und die Versorgung der Durchreisenden gemacht zu sein scheint. Mit wenig Hoffnung gehen wir in ein Restaurant, das wirklich geöffnet hat und werden vom freundlichen Chef des Hauses begrüßt. Am Mate nippend fragt er: „Es gibt Suppe des Tages, gegrilltes Steak und Salat - wollt ihr das?“ Ja wir wollen und das Essen gibt uns den Glauben an gutes Fleischessen wieder zurück. Das beste Steak der Reise bekommen wir frisch vom Grill in dieser einsamen Siedlung!

So langsam verändert sich die Landschaft. Berglandschaften erscheinen am Horizont und so langsam engt sich die Landschaft auch an den Seiten ein. Wie in einen Trichter aus Berglandschaft werden wir langsam nach Bariloche eingesogen. Am Ende findet sich eine grandiose Seen- und Berglandschaft. Der Lago Nahuel-Huapi und seine Nachbarn liegen tiefblau zwischen schneebedeckten Zweitausendern. Kaum zu glauben, dass wir vor ein paar Stunden noch durch tellerglatte Graslandschaften gefahren sind. Auch das ist Patagonien, die Region Rio Negro hat ansonsten nur menschenleere Steppe zu bieten, aber hier an der westlichen Andenkante liegt San Carlos de Bariloche, und hier wohnt ein Drittel der Gesamtbevölkerung Rio Negros, die vor allem vom Tourismus lebt. Bariloche ist uns zu touristisch, kaum auszudenken, wie das in der Hauptsaison hier aussieht. Schade, dass sich der Ort so vom wunderschönen See abwendet, das Ufer wird von einer breiten und sehr befahrenen Straße abgetrennt und so spielt sich alles in den unendlich vielen Pubs, Outdoorläden und Schokoladenläden in den Fußgängerzonen ab.

Wir nutzen den Tag dann lieber für einen Radausflug um den Lago Moreno. Der Circuito Chico ist zwar auch touristisch, aber wenn du erst einmal losgestrampelt bist, kannst du den Blick auf die Berge und die Seen allein genießen. Bei herrlichem Wetter malt der Frühsommer in Ginstergelb und Seeblau!

Lago Huechulafquen/Vulkan Lanin (09.-11.12.2019)

Die letzte Etappe führt uns zum „schönsten Berg der Welt“, dem Vulkan Lanin. Tatsächlich ist es kaum zu beschreiben, wie wunderschön die Annäherung an diesen ideal geformten Vulkan ist. Schon 150 km vor Ankunft können wir den Lanin sehen und spätestens an den Ufern des Lago Huechulafquen, der Eingang zum Nationalpark liegt am östlichsten Zipfel des Sees, sind die von Sonne und klarer Luft unterstrichenen Aussichten schwer zu beschreiben, selbst Fotos können diese Sicht nur unzureichend einfangen, der Wind braust, die Wellen peitschen, das rot und gelb der Sommerblumen und Ginsterbüsche strahlt und dazwischen überragt der idealförmige Kegel des Lanin das Geschehen. Wir stellen unser Zelt unterhalb der Wanderweges zum Gipfel auf - direkt am See verbringen wir einen wundervollen Resttag und freuen uns auf die Wanderung am nächsten Morgen.

Aus dem Schnee des Lanin und seiner Nachbarn kommt immer noch reichlich Wasser, dass den Berg hinunterrauscht und über tausende von Jahren das Tal geformt hat, das wir jetzt hinaufsteigen, den Abfluss, den Arroyo Rucu Leufú, immer in Sicht- und Rauschweite. Insgesamt sind wir acht Stunden unterwegs um nur einmal die Basis zum Gipfel zu erreichen und die Schneekappe oberhalb der Baumgrenze zu sehen. Aber der Berg posiert auch vorher schon in allen erdenklich schönen Anblicken, Vögel zwitschern, Echsen kriechen - ein komplett idealer Wandertag, den wir am Abend mit unserem restlichen Weißwein vor dem Zelt am See ausklingen lassen. Morgen geht es nach Chile und dann schneller nach Norden - Autobahn statt Bergwunderwelt!


Temuco (11./12.12.2019)

240.000 Einwohner, 360 m

Diese Stadt ist eine Durchgangsstation auf der Panamerikana. Sie ist die am schnellsten wachsende Stadt in Chile und Wirtschaftszentrum des „kleinen Südens“. Mehr muss man nicht wissen. Nicht schön, aber scheinbar für viele Chilenen attraktiv. Die einzige Sehenswürdigkeit war die Markthalle, die leider vor drei Jahren abgebrannt ist. Wir übernachten hier gut und fahren am nächsten Morgen ans Meer!


Pichilemu (13.-15.12.2019)

14.000 Einwohner

Was für ein Glück, wir landen im Conviento de Lobos, direkt am Punta de Lobos, einem Felsvorsprung sechs Kilometer vor Pichilemu mit tollem Meerblick und richtig Rambazamba - dieses Wochenende werden die Surfwettkämpfe der Womens Pro World Surf League hier ausgetragen!

Leider sind aus unserer Dilettantensicht die Wellen gar nicht hoch und so gehen wir schnell dazu über, die Bierstände der vielen Artesenal-Brauereien der Region zu testen. Das war ein Highlight. Der Strand ist auch ohne Surferinnen ein Hingucker: Schwarzer feiner Sand, blauer Himmel und eine kräftige Brise. Wir laufen die sechs Kilometer in den Ort um zu schauen, ob sich schon etwas mehr Publikum als am 23.10. tummelt. Tatsächlich ist der Ort schon richtig lebendig und wir freuen uns, noch einmal auf der Terrasse unseres damaligen Restaurants zu sitzen und eine letzte Caldillo de Congrio zu schlürfen.  

Ein schöner Abschluss mit Sonnenbrand, bevor es nach Santiago zurück geht.


Zurück in Santiago de Chile (15.-17.12.2019)

Nach 7500 km Autofahrt hat uns unser Subaru wieder an seinen Ursprungsort geführt. Wir atmen auf und sind froh, dass alles so super funktioniert hat. Jetzt heißt es Sachen packen und sich auf Weihnachten freuen. Gar nicht so einfach bei 33 °C in Santiago de Chile.

Abflug am 17.12. um 15.45 Uhr!

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Kommentare: 2
  • #1

    Sigrid und Astrid aus dem verregneten Schweriner Novemberbüro (Mittwoch, 20 November 2019 10:33)

    Liebe Sigrun, lieber Heiko,
    ganz allein, also zu zweit, haben wir uns gerade in eure Nähe geträumt und die schönen Bilder bewundert. Wir haben noch nicht alle Texte gelesen- machen wir noch, aber jetzt wollen wir euch herzlich grüßen aus der Heimat und euch weiterhin eine gute Reise wünschen.
    Herzliche Grüße, Les deseo lo mejor y cuídense.
    Sigrid und Astrid

  • #2

    Heiko (Samstag, 23 November 2019 20:07)

    ... schön von euch zu lesen. Freut uns, wenn ihr uns noch nicht vergessen habt. Liebe Grüße an alle auf dem „grauen Flur“. Wir sind auf der Zielgeraden und schlagen demnächst an der Südspitze (Feuerland) an.

    Bis bald,
    Sigrun & Heiko